Intermediale
Grenzgänge –
Roland Schappert

Rainer Berthold Schossig, 2004



Grenzgänger zwischen den Genres bewegen sich in unwegsamem Gebiet. Wenige gebahnte Wege gibt’s jenseits der Hauptstraßen, dafür „slippery slopes“, abschüssiges, unsicheres Gelände zwischen den festen Gründen des schon Beglaubigten. Roland Schappert (*1965 in Köln) arbeitet an den Nahtstellen der Medien Zeichnung und Video, Poesie, Musik und Kolportage. Seine computerbearbeiteten Bilder und Filme, seine den Zeitgeist scheinbar naiv spiegelnden zeichnerischen und lyrischen Kommentare lassen Welten, welche die Mode sonst säuberlich trennt, unversehens ineinander kippen. Schappert ist Kunsthistoriker, Philosoph und Künstler, er bedient sich höchst reflektiert unterschiedlicher Techniken der Transformation von bereits Transformiertem und verweist damit schmerzhaft auf die problematische mediale Prägung unserer Wahr-Nehmung. Aus banalen und elaborierten Techniken wie MTV-Clip oder Video-Loop, Polaroid oder Cyberspace, Plotter-druck, Softporno und Mode-Aquarell mixt er bisweilen bitterböse visuelle Cocktails, baut Eselsbrücken über Wechselbäder unserer Gefühle, über die Untiefen modischen Geschmacks. Wenn Schappert etwa komprimierte, d. h. datenreduzierte Bilder von scheinbar jungfräulichen Bergrücken auf der Touristeninsel Mallorca präsentiert, wenn er diese dergestalt irreal mineralisierte, merkwürdig kraftlos wirkende Landschaft durch die künstliche Erotik praller, bonbonfarbener Cybergirls mit geborgter Energie auflädt, dann verrät und verbirgt dieses Vorgehen zugleich die Verortung des Künstlers zwischen Natur und Medialität. Was ist hier Abbildung, was Nachbildung? Wo endet die Realität, wo beginnt Künstlichkeit? Was ist Wahrheit, was Fake? Schappert legt Leimruten für den Betrachter aus, hilft ihm aber durch dergleichen Ent-Täuschungen auch visuell auf die Sprünge, wenn er Original-Reality-TV oder aktuelles Tagesschau-Material hintersinnig nachbearbeitet, neu erzählt, also Versatzstücke von Vertrautem überraschend neu kontextualisiert. Damit stellt er sich bewusst in die Tradition des Ästhetizismus von Goethe bis Proust, dessen kulturell möblierter Blick im Natürlichen noch immer zunächst das Echo eines Kunstwerks wieder erkennt. Heutzutage sind es jedoch weniger Erinnerungen an Produkte der Hochkultur, klassische Skulpturen oder Gemälde, sondern eher jene Irritationen, die von verwandten Benutzeroberflächen, banalen Pathosformeln aus Konsum und Werbung ausgehen, die uns – bedrängt von der Fülle angeblicher reeller Bilder – am Authentischen überhaupt zweifeln lassen. Roland Schapperts hybride Fotos, Filme und Zeichnungen erzählen von der massenmedialen Fragmentierung des Lebens, vom Abhub des Abhubs der Diskurse, in der Dramaturgie von Fernsehfilm-Clips oder Internet-Links, dünnhäutige Geschichten, Fiktionen von Sex, Lügen und Video, deren Sollbruchstellen im White Cube doppelt beklemmend sichtbar werden.


ZEICHNUNG vernetzt, Städtische Galerie Delmenhorst, 2004, Katalog