Roland Schappert ist ein Grenzgänger. Ob Öl- oder Materialbild auf Leinwand, Zinkblech oder Papier, ein von hinten zerkratzter Spiegel, eine bunt glasierte Keramik, eine Zeichnung auf Papier, eine Originalgrafik in Form eines Linolschnitts, eine Kaltnadelradierung mit oder ohne Aquatinta auf Büttenpapier, Leinwand oder sogar eine Kaltnadelätzung hinter Spiegel – Roland Schapperts Schaffen ist vielseitig. Im Mittelpunkt steht aber immer ein literarisches und zutiefst menschliches Interesse und dann erst die (Er-)Forschung der Wechselwirkung der gewählten Medien. Es gibt also keine bevorzugten Medien sowie keine Wert stiftende Differenzierung zwischen Gedankenwelt, Original und Druckgrafik.
Der tatsächliche oder gedankliche Raum zwischen den Werken ist mit einer geballten Kraft aus sowohl statischer wie auch dynamischer Energie geladen – erzeugt durch die geistigen Reibungen der unterschiedlichen Medien und Gedankengänge, die den jeweiligen Werken zugrunde liegen. Doch die Energie bleibt nicht auf der Oberfläche wie eine elektrostatische Aufladung, die beim Anfassen einen Schock erzeugt. Vielmehr wird sie in dynamische Energie umgewandelt und in den Raum hinein und auf die Betrachter weitergeleitet. Dabei ist das Werk nur eine Prognose, eine Projektionsfläche für die Selbstwahrnehmung und -erkenntnis des Betrachters. Vielleicht ist das der Grund, warum Schappert immer wieder mit Spiegeln arbeitet – oder im Falle der Druckgrafik „BETWEEN MOONLIGHT AND NEON“ mit einer Art silbernen Glanzfolie. Von hinten zerkratzt oder mit Texten überschrieben, das Bild spiegelt den Betrachter wieder. Doch er sieht sich selber im Bild nicht als Reflexion, sondern als Teil eines buchstäblich tiefgründigen Bildraumes, sein eigenes Gesicht überlagert mit auf den ersten Blick losgelösten Bildfragmenten und scheinbar wirren Wortkombinationen oder Satzfragmenten.
Wie ein hyper-intelligenter aber dennoch cooler visueller Discjockey legt er Figuren und Texte wie Samples auf, um eine Synthese von verschiedenen Motiven, Textfragmenten und Gedankengängen zu erzeugen. Wie Palimpseste werden die Bildelemente überlagert, ausradiert, weggekratzt und wieder freigelegt, um eine Art (De-)Collage von Bewusstseinsstrom-Aphorismen zu erzeugen. Die Texte sind häufig durch „falsche“ Silbentrennung schwer zu entziffern, wobei neue Bedeutungsebenen durch die Wortspiele freigelegt werden. Auf einem Blatt entdeckt man zum Beispiel Referenzen zum späten Picasso – der Künstler als geiler alter Bock. Doch in Schapperts Bild sehen wir eine lässige, fast zufällige Zusammenstellung von einem Kopf einer schönen jungen Frau inmitten einer Herde Steinböcke, wobei der Künstler nicht der Bock sondern lediglich ein unbeteiligter Beobachter (oder Voyeur?) ist, vertreten durch ein Fotoporträt mit Nerd-Brille und Weinglas wie vom letzten Weinfest im Dorf. Darunter der Text „WENN NICHTS MEHR INTERESSIERT / SY SISYPHOS BEIM ABSTIEG“. Der Künstler als Loser? Keinesfalls! „YOU CAN TRUST ME“ steht auf einem anderen Blatt, wobei man unweigerlich daran erinnert wird, dass die eigenen Eltern stets davor gewarnt haben, jemandem zu trauen, der von sich selber meint, er wäre vertrauenswürdig. Soll man also dem Bild vertrauen? Lieber nicht, denn alle Werke von Schappert sind viel komplexer und sogar verworrener als sie ohnehin schon erscheinen. YOU CAN TRUST ME / I KISS ONLY SINGLES AND REMAIN WITH YOU