ZEIT T EI LT AL L E WUN DEN

Gregor Jansen, 2013

 

 

Im Wesen der Sprache gilt es Sinn zu suchen. Nach Martin Heidegger kommt es einzig darauf an, dass die Wahrheit des Seins zur Sprache kommt, und dass unser Denken in diese Sprache gelangt. Die Fundamentalfrage der Philosophie ist für ihn die Frage nach dem Sinn des Seins. Fragen kann ein Sprechender. Immer sprechen nach Heidegger wir Menschen. In der Behausung Sprache wohnt der Mensch. Auch für Roland Schappert ist das Bildwerden Sprechakt und die Sprache als Bildträger existentielle Grundbedingung. Insofern stehen seine Werke in Kirchengebäuden unter einem besonderen Seins- und Sinnbezug. Von welchen Grundbedingungen aber gehen wir aus?

Die Kirche ist ein Haus Gottes, ein Ort der Gemeinde, der Zusammenkünfte und des Betens, Sprechens oder Singens. Der Anfang allen Seins ist Sprache – denn am Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott. In einem Gotteshaus herrscht somit die Theologie, die Lehre von Gott, das Wort Gottes. Sie bestimmt das Leben im Glauben. Letztlich ist es die Liebe, die göttliche, unendliche Liebe zu uns Menschen, in der das Sein und der Sinn des Lebens geborgen zu sein scheinen. FEWER LOVERS MORE LOVE

Für Martin Heidegger nun wohnt uns – als Gottes geliebte Wesen, so dürfte man nach dem obigen Absatz sagen – ein vorontologisches Seinsverständnis inne. Wir Menschen verstehen immer schon, was Sein bedeutet. Für Ludwig Wittgenstein hingegen verstehen wir es immer schon, an Sprachspielen teilzunehmen. Und alle Philosophie ist Sprachkritik – mit Roland Schappert würde man sagen, auch alle Kunst. Ein Kommentar zum sprechenden Sein. SPRICHT GOTT DEINE SPRACHE

Die alltäglichen Phänomene sind uns, gerade weil sie alltäglich und immer schon da sind, verborgen. Mit einem Verweis auf Freud wird das ontisch Allbekannte ontologisch als Fremdes gesehen. Wittgenstein und Heidegger beschreiben jeder auf seine Weise einen wunderbaren Pfad, der zum beschreibenden Freilegen der Möglichkeitsbedingungen von Bedeutung führt, gleichsam dem unabwendbaren Aufzeigen der Grenzen menschlichen Seins. Und hier als Gegenprogramm zu allen Seins- und Heilsversprechen der Religion(en). Schon im Versprechen liegt ein wunder(samer) Punkt – den Freud als un(ter)bewusste Wahrheit erfasste –, ein falsches Sprechen mitunter. Wenn menschliches Dasein Selbst- und Weltbezug meint, so gehören zur Form unseres Seins, unserer sprachlichen Bedingtheit, die gleich ursprünglichen Phänomene Welt und sprachliche Verfasstheit. Bei Wittgenstein ist die Sprache gleich der Erkenntnisfähigkeit. Und insofern tritt Kultur mit der Sprache auf den Plan und konstituiert das sprechende Wesen im Sein.

In den Düsseldorfer Kirchen St. Antonius in Oberkassel und St. Sakrament in Heerdt wendet Roland Schappert sowohl verschiedene Formen von Bild, Sprache und Sprachbild als auch den Sprechakt an. In St. Antonius inszeniert er mit einer Lichtüberhöhung, einer Art Herauslösung der Seitenapsis, eine Wandmalerei: Die wie mit neonfarbenem Lippenstift aufgetragenen Buchstaben formen den Text FEWER LOVERS MORE LOVE . Er erscheint wie ein „Tag“ oder „Writing“ eines Graffiti-Sprayers im Außenraum. In den sakralen Innenraum übertragen wirkt der Text daher befremdend und aggressiv. Zugleich aber ist er in leuchtendem Rosa ausgeführt und in ein sehr helles Licht getaucht. Im Zusammenspiel mit den symmetrischen, blau-roten Kirchenfenstern darüber fügt er sich harmonisch in eine schön proportionierte und anziehende Nische ein, die das lesende Auge neugierig abtastet. Schappert spielt mit Sprache, dem Fremdkörper des „Writing“ im Kirchenraum und der Ergänzung oder Umformung einiger Elemente wie den Zählstrichen, dem Unterstrich beim WE oder dem L im O bei LOVE. „Weniger Liebende – mehr Liebe“: eine Wahrheit, eine Frage, eine Provokation, eine ernst gemeinte Aussage? Wir wissen es nicht, beginnen aber, die Sinnhaltigkeit des Bildes und der Sprache zu befragen, wirken zu lassen – und sehen uns als Lesende exakt zwischen Heidegger und Wittgenstein Platz nehmen.

Auch in der Bunkerkirche in Heerdt hat Schappert ein monumentales „Writing“ gemalt: SPRICHT GOTT DEINE SPRACHE. Auf 22 Metern Wand entfaltet sich Buchstabe für Buchstabe als Orakel mit einem Sinn, der – zweideutig – als Frage oder als Bedingung gelesen werden kann. Als an Sprachspielen teilnehmende, als Gottesgeschöpfe sprechende und als im Weltsinn verfasste Wesen muss demnach Gott unsere Sprache sprechen oder wir die seine. Eine eigentümliche Verfasstheit – vor allem innerhalb seines Hauses.

An diesem Ort ist Welt kein Gegenstand der Erfahrung mehr, sondern transzendentale Lebensform. UHRKNALL. Wir haben immer schon eine Welt, sind immer schon in die Welt geworfen. Welt ist kein Container, kein materieller Raum, in dem wir uns irgendwie aufhalten. Diesem Freiheitsentzug im überlebten cartesianischen Bild der Subjekt-Objekt Differenz gilt es zu entfliehen, denn indem auch die res cogitans als Substanz vorgestellt wurde, war der Blick verstellt. Seit Descartes stand dem Körper die wahre Anwesenheit des Geistes disparat gegenüber. Auf diese dualistische Verdopplung folgte die Reduktion eines materialistischen Monismus. IN SEARCH OF A SUBJECT. Der Mensch wurde zur (biologischen) Maschine. Wittgenstein und Heidegger üben Kritik an diesen Modellen der Beziehung zwischen Mensch und Natur und verweisen auf den kategorialen Unterschied zwischen der Rede vom Menschen und gegenständlichen Prädikationen. Sie gehen hinter diese Vorstellung zurück, indem sie die Umkehr des traditionellen Vorrangs des Unbeteiligten vollziehen. Denn Menschen sind immer schon in der Welt, in Geschehnissen und Lagen, involviert, beschäftigt und eingebunden in den praktischen Lebensvollzug. GLÜCK UND HEIMWEH

Aufgrund der stark wechselnden Medialität der Arbeiten von Roland Schappert haben wir es auf der textuellen, sprachlichen Oberfläche der Materialebenen mit einer Form der Welterfahrung und Verdinglichung unseres Selbstverständnisses zu tun, welche im System der Kunst und im System der Kirche eine besondere Wirkung erzielt. Ob es sich um Keramik, gebrannten Ton mit Glasuren und Einritzungen handelt, um Malerei auf Leinwand, Wandmalerei oder Lackierungen auf Metallblech – oder ob der Künstler einen Sprecher über die Geschichte eines besonderen Orts referierten lässt (wie in der Bunkerkirche anhand eines Hörstücks von Michael Ebmeyer): Roland Schapperts künstlerische Verfahren lassen uns die wahre Anwesenheit des Objektes als immer neu zu stellende Frage zwischen dem Ding und dem Sinn seiner Aussage variabel stellen. Ausgehend von der wechselvollen und seit über einem Jahrhundert auch leidvollen Geschichte der Malerei, interessiert den Künstler das Medium in seiner unangepassten Erweiterbarkeit: der Umgang mit Malerei, aber auch der Übergang zu den zeitbasierten Medien wie Lyrik, Skulptur oder Raumobjekt, Video und Licht. Roland Schappert versteht Malerei dabei konzeptuell, abstrakt, konkret und gegenständlich, und entwickelt – durch Integration von Zeit- und Raumelementen – einen Malereibegriff, der in enger Wechselbeziehung zum Raum steht. „Für mich existiert jedes Bild – nicht nur Malerei – immer nur in Räumen: im Gedankenraum, im Erinnerungsraum, im Vorstellungsraum, im Raum der Wahrnehmung, im medialen Raum und im Ausstellungsraum“, definiert er. „In meinen Bildern oder Bildräumen geht es mir um Malerei, die man nicht von einem Standpunkt aus betrachten kann, Malerei also, die einen dazu motiviert, sich zu bewegen – geistig und räumlich.“ Dies ist ihm in seinen letzten drei Kirchenraumausstellungen wahrlich gelungen. Und es sind extreme Überlagerungen, keine leicht verständlichen Interventionen, sondern in ihrer Komplexität kaum darzustellende Momente des Realen und des Geistigen. Sprache ist hier nur ein mittelbares Moment und begibt sich nicht weiter auf die kaum Erhellung bringende Spur des Fährtenlesers. Vor allem deshalb, weil Moral in diesem anti-aufklärerischen Kontext eine interessante Rolle spielt. Moral ist ein Wert, dem sich letztlich alles unterzuordnen hätte. Mehr als guter Wille – eine Verpflichtung. An Engagement mangelt es nicht. Nur, wer ist in der Lage, normativ zu bewerten? Da versagt die mangelnde Eindeutigkeit der Sprache. Genauso wesentlich sind da die Wörter auf dem abstrakten Gemälde von 2012, gebildet aus Acrylfarbe, Draht, Fluo-Vinylfarbe, Kasein, Leinwand, Metalleffektpigment und Pigment auf Leinwand in der Größe 150 x 230 cm. Sie lauten: AT THE END OF THE DAY NOBODY IS INTERESTED IN THE MEANING OF WHAT IS SAID

RE LOVE, Katalog von Roland Schappert, Hardcover, 64 Seiten mit 45 Farbabbildungen und Text von Gregor Jansen, deutsch/engl., Salon Verlag, Köln 2013, ISBN 978-3-89770-433-6