Die Unverfügbarkeit
des Abgebildeten

Künstlerportrait Roland Schappert

Christina Irrgang, 2010

 

Vielschichtig und „WOW YOU ARE FROM GERMANY“ – so sind die Bilder und Bildräume, die Roland Schappert im Einbeziehen verschiedenster Medien, Techniken und Materialien generiert. Aus Bild- und Sprachsamples konzipiert der 1965 in Köln geborene Künstler Ölbilder, Kaltnadelradierungen, Collagen und Zeichnungen, die er in seinen Rauminstallationen oftmals auch mit Lichtobjekten, Video oder Sound in Verbindung bringt. Dennoch ist es das Bild und insbesondere die Malerei, die den Bezugspunkt in Roland Schapperts künstlerischer Arbeit bildet. Vom Malerischen aus sind auch seine einzelnen Werkgruppen zu betrachten, die das Zeitbasierte, Flüchtige in einem Prozess des Überschreibens einfangen und zum Gegenstand bringen. Wie eine bewusst gesetzte Hinterlassenschaft aus der Erinnerung erscheinen so Wortlaute wie „NACH DEM ZUSTAND“ auf fast monochromem Farbgrund, die als Sgraffito auf der Oberfläche des Bildes erscheinen, und den Betrachter in Roland Schapperts Bildräume geleiten.

 

Malerei und das Malerische im Raum

Sich überlagernde Farbschichten, Schraffuren von Kaltnadel oder expressive Pinselführung: Der Künstler streicht aus, verdeckt, gräbt ein. Stellenweise kombiniert er das Bild mit Materialien wie zu Buchstaben aufgereihten Perlen, die sich körperhaft als Objekt in den Raum hinein fortsetzen. Immer jedoch erzeugt Schappert eine Bildoberfläche, die in Bezug und in Wechselwirkung zum Raum, und vor allem zum wechselnden Licht steht, mit dem sich seine Malerei fortsetzt: Im Spiel mit der Wahrnehmung – zwischen Nähe und Ferne, Lichtreflexion und Schattenwurf – schälen sich Details seiner Bilder heraus, oder bleiben im Verborgenen. Der Betrachter, der sich den Bildern durch Eigenbewegung im Raum annähert, erahnt, liest in ihrer Textur, glaubt zu erkennen – und kann am Ende doch nie darauf vertrauen, was sich ihm da als Abbild, als Schatten oder in gleißender Deutlichkeit als Reflexion im Bilde zeigt. Schapperts Bildorganismen changieren zwischen dem Tatsächlichen, der Inszenierung und der Simulation dessen, was sich da im Wechsel der matten oder glänzenden Oberflächenstruktur zu erkennen gibt, die mitunter erst durch wechselnde Beleuchtung oder im Halbdunkeln in Erscheinung tritt.
Es ist die Malerei in ihrer Erweiterbarkeit, die den Künstler interessiert: der Umgang mit, als auch der Übergang von Malerei zu den zeitbasierten Medien wie Lyrik, Video und Licht. Roland Schappert begreift die Malerei dabei gleichsam konzeptuell, abstrakt, konkret und gegenständlich, und überführt diese durch Integration von Zeit- und Raumelementen hin zu einem Malereibegriff, der in enger Wechselbeziehung zum Raum steht. „Für mich existiert jedes Bild – nicht nur Malerei – immer nur in Räumen: im Gedankenraum, im Erinnerungsraum, im Vorstellungsraum, im Raum der Wahrnehmung, im medialen Raum und im Ausstellungsraum“, kommentiert der Künstler. Und gleichsam, wie für Schappert die Malerei in Relation zum Raum steht, will er sie auch im Übergang betrachtet wissen: „In meinen Bildern oder Bildräumen geht es mir um Malerei, die man nicht von einem Standpunkt aus betrachten kann, Malerei also, die einen zwingt, sich zu bewegen – geistig und räumlich.“
Malerei undogmatisch zu denken, das ist sein Ziel. Mit seiner Professur für Malerei und das Malerische in den Medien, die er von 2007 bis 2010 an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig innehatte, versuchte Roland Schappert seinen experimentellen Umgang mit der Malerei und der künstlerischen Originalgrafik gleichsam auch auf institutioneller Ebene zu erweitern – mit Erfolg. „Extreme Drucktechnik“ war beispielsweise solch ein Projekt, bei dem er in Zusammenarbeit mit Studenten traditionelle Druckverfahren in einem alternativen Umgang erprobte. Hieraus ist auch eine Kooperation mit einem seiner ehemaligen Studenten hervorgegangen. Denn auch das versteht der Maler unter Einbezug von Raum: Das gemeinsame und kommunikative Arbeiten an Projekten, in dem gleichsam Gedanken, wie auch Medien zusammen fließen.

Im Angesicht des Akustischen

„Sounds im Auge“ heißt das Projekt, das Schappert 2002 bis 2003 verfolgte: Im Übergang von Ausstellung und musikalischer Lesung hatte der Künstler Kurz-Videos gezeigt, in denen er Literaturstücke in Verbindung zu Bildern stellte und Videosequenzen und elektronische Soundcollagen mit gesprochenem und gesungenem Text überlagerte. In Zusammenarbeit mit dem Schriftsteller Michael Ebmeyer entstand 2003 auch ein Video, für welches beide im Jahr 2005 den Videonale-Preis im Kunstmuseum Bonn verliehen bekamen.
Roland Schapperts Interesse an der Verbindung und Überlagerung von Sprache, Video-Bildern, Sound und Aktion – und damit auch an der Bildhaftigkeit von Sprachen – mündete etwa zur gleichen Zeit in dem Gedanken, die neuen, technischen, ja mitunter flüchtigen Medien in das vermeintlich statische Bild zu überführen. Das Lineare, Flüchtige und Performative in die traditionellen Medien der Malerei und Grafik zu übertragen, und diese mit ihren Mitteln zu hinterfragen, um neue Gestaltungskonzepte zu entwickeln, lässt sich also schon auf Schapperts Bild-Sound-Collagen „Sounds im Auge“ zurückführen – mit der neuen Intention, nun eine Visualisierung des Bewegten zu verfolgen, ohne dabei akustisch oder visuell in sich bewegt zu sein. Sprachfetzen, die eigene Gedichte und Phrasen aus Songtexten zitieren, erzeugen den aktuellen Bildgegenstand, und zugleich auch einen Kommentar zum Bild im Allgemeinen. An anderer Stelle überträgt der Künstler die Materialität, den Träger der Musik, selbst ins Bild: Ein mit Schellack gemaltes Portrait gibt so das Konterfei von Musikern und Schaustellern frei. Die Musik bildet hier eine Referenz, die nur noch als Bild- oder Sprachsample – und so als visuell-poetisches Fragment – im Bild vorhanden ist, in diesem aber assoziativ das Melodische hinterlässt.

 

Das Portrait als Rolle

Die Konfrontation von Figur, Sprache und inszenierter Handlung bringt für Roland Schappert nicht nur Literatur, Theater und Kunst zusammen, sondern ist auch in seinen Portraits als szenische Aufzeichnung wieder zuerkennen. In Öl gemalte, in Bleistift gezeichnete oder in Kaltnadelradierung ausgeführte Bildnisse, die Schappert oft mit einzelnen Worten oder Sentenzen umgibt, zeigen vor allem Typen und das Erproben von Rollen in wechselnder Besetzung. Die Zuordnung und Verbindung von Sprache und Charakteren, die keine bestimmte Person verkörpern, mündet an der Grenze hin zur Stilisierung: Roland Schapperts Bilder zeigen sich dabei als offen angelegte Skizzen, und so auch die als Wort- oder Gedanken-Fetzen ins Bild gebrachten Narrationen, die gleichsam als erinnerte oder prognostizierte Phrasen oder Lyriks in seinen Bildtafeln erscheinen. „BIZZARER UMWEG“ und „NO MORE HESITATE“: Schappert zeigt hier (Haupt-)Rollen, die in ihrer Konfiguration an Vertrautes erinnern und dennoch unbekannt bleiben. In der Darstellung der einzelnen Figuren erscheint das Unbestimmte als verzerrte, ja verfremdete Mimik, und lässt die als Bildzitat ausgeführten Gesichter wie unter einer Maske aus Farbe – als Phantom – verschwinden. Roland Schapperts Portraits umreißen eine fiktive Charakterstudie, die aus einer Emulsion von Bild und Sprache hervorgeht, aber in einer Form des inneren Monologs unnahbar bleibt.

 

Die Unverfügbarkeit des Abgebildeten

Roland Schapperts Bilder lesen sich so als Rekonstruktion von in Bruchstücken dargestellten Erzählungen. Vor allem seine sich aus Textfragmenten herausschälenden Bilder, die aus dem Prozess von Überschreiben, Ausstreichen und Auswischen entstehen, verdecken das Gesagte und eröffnen zugleich den in Sprache ausformulierten Bildgegenstand. Die wechselnde Akzentuierung zwischen Farbfläche und Schrift, denen das Spontane und Sporadische zugrunde liegt, zeigt im Überblenden und Freilegen das Vergängliche und damit einen Augenblick von Wahrheit, den Schappert als Inschrift des Vergangenen dokumentiert. Erinnert wird hier an Momente, die sich vom Erinnerten zugleich loslösen und dem rein Dargestellten im Bild obliegen. Notierte Gedanken erscheinen dabei als Anhaltspunkte, die sich dem Betrachter als Spuren darbieten: Spuren, die in ihren Brechungen und Gravuren nicht repräsentieren, sondern präsentieren. „Spuren treten nur hervor, sofern eine bestehende Form durch ‚Überschreibung’ aufgelöst und neu konfiguriert wird“, schreibt Sybille Krämer in ihrer Abhandlung zum Begriff der Spur. Es ist eben dieser Vorgang, der in Roland Schapperts künstlerischer Arbeit gleichsam die Betrachtung von Spuren, also das Spurenlesen, wie auch das Hinterlassen von Spuren als Fährten zeigt. Das Lesen in seinen Bildern vereint das Aktuelle und Vergangene, verwickelt es miteinander und stellt es als Hypothese in den Raum. Diese Samples und Zitate aus eigenen und fremden Texten sind intime Geständnisse, die gleichsam ihre Maskerade preisgeben und das Beständige als Lüge enthüllen, das nur im Augenblickhaften dem Anspruch nach Wahrheit gerecht wird. Es ist ein – wenn auch leicht wehmütiges – Umkreisen, Festhalten, Freilassen, das die Bilder von Roland Schappert zu dem macht, was sie sind: abstrahierte Momentaufnahmen von Gedanken, die den Wunsch nach Gültigkeit äußern, aber einer vergehenden Beständigkeit doch stets ausgeliefert bleiben. „MORE LOVE LESS LOVERS“.

artist kunstmagazin, Nr. 84, Bremen 2010