Gegen den Strich „gemalt“, führt Roland Schappert in seinen Arbeiten klassische Medien an ihre Grenzen, dehnt ihren Erfahrungsraum durch das „Verstreichen“ von Zeit. Diese zeitliche Erfahrung bestimmt wesentlich den Wahrnehmungshorizont der Werke. Malerei, Zeichnung und Skulptur werden mit zeitbasierten Medien – Video, Klang, Lichtinstallationen … – zusammengeführt und an ihren Berührungspunkten zu grundlegenden, erkenntnistheoretischen Fragestellungen verdichtet. Sprache und Bild, Abstraktion und Gegenständlichkeit, Klang und Materialität werden so miteinander verwoben, dass sich die Dramatik des Verstehens auf den erhellenden „Sündenfall“, den aufblitzenden Moment der Sinnstiftung, hin fokussiert. Das heißt die Arbeiten zielen auf jenen prekären Wimpernschlag der Erkenntnis, bei dem der Pinselstrich zum ikonischen Zeichen, der Buchstabe zum Wort, das Geräusch – NOISE – zum Klang – NOTE – wird. Sie zielen auf einen Kontext, eine syntagmatische Struktur, die kaum, dass sie entstanden ist, kaum, dass sie beginnt, Sinn zu generieren, nur noch sehr schwer wieder hintergehbar zu sein scheint.
Dergestalt formulieren die Werke eine beständige, fast archäologische Suche nach dem Ursprung ihrer Motive – DAS GIBT’S NUR EINMAL. Sie legen Malschicht über Malschicht, Tonspur über Tonspur, Lichtreflex über Lichtreflex an, um sich paradoxerweise immer wieder bis zu jenem entscheidenden Moment vorzuwagen – HÄTTEN WIR UNS ZUR PRIMETIME GETROFFEN –, der die vollkommene Offenheit als Möglichkeit und Aneignung von etwas versteht, Leben zu erfahren. Gleichzeitig tauchen sie aber mit dieser Aneignung in das Universum des bereits gelebten Lebens ein, in die Welt kultureller Konventionen, Regelsysteme, Codes – in einen Moment also, der unwiederbringlich den Schritt vom MONDLICHT zum NEONLICHT geht. Dabei spüren sie im kühlen artifiziellen Neonlicht der Erkenntnis melancholisch dem verlorenen Paradies des warmen Mondlichtes nach.
Erinnerung und Aneignung, Melancholie und Vergegenwärtigung halten in den Arbeiten, im Pinselstrich, im Klang, im Lichtreflex, im Zeichenstrich … in ihrer räumlichen und zeitlichen Bezugnahme, in ihren Modulen, ihren Syntagmen und „Sätzen“, kurz in ihrer Installation und Bezugnahme die Schichten des Lebens sowie die Schichten von Persönlichkeiten präsent, verknüpfen sie miteinander und lassen sie aus der Tiefe der Bildsegmente aufscheinen – DER SCHATTEN DES DUNK LEN LEUCHTET IMMER WIEDER.
Aus der Höhle Platons, aus dem Dunkel der Überlagerungen der Sinnschichten, aus Zitaten und eigenen Texten, aus Songtexten und Literatur, aus der Parallelität verschiedener Sprachsysteme und Bilderwelten kommend, umkreist der Künstler bei der Produktion der Arbeiten immer wieder jenen Punkt, an dem sich die Frage nach dem Umgang mit der Geschichte oder vielmehr den unter schiedlichsten Geschichten auch als Frage nach der Selbstversicherung der eigenen Standortbestimmung stellt.
SHE IS NOT ALONE – als Zitat eines Sonic Youth Titels erkennbar oder nicht, der vom Künstler unverändert in den eigenen Kontext überführt wird, ergibt zwar für den Rezipienten auch ohne die genaue Identifizierung des Textes Sinn, legt aber im Verstehen der Übernahme des Zitates zugleich ein weiteres Segment über das Bild. Dergestalt im kulturellen Raum verankert, der immer auch ein sozialer Raum ist, begegnet das Subjekt als Form der Erkenntnis dem „Anderen“ – SHE IS NOT ALONE –, wodurch die Lust des Begreifens, die mit dem InBeziehungSetzens einhergeht, erst entfacht wird.
Erkenntnis leuchtet als Prozess auf – REFLECT ME THE LIGHT –, erhellt, stellt ins Licht und macht damit sichtbar. Aber was wird dadurch sichtbar? Wie sicher sind die Dinge, von denen wir glauben, sie zu begreifen? Wo beginnen sie zu kippen, sich uns zu entziehen, flüchtig zu werden, zwischen Bedeutungen hin und her zu changieren? Unfixierte Kreide auf Hochglanzlack auf Sand und Metall schillert – je nach Lichteinfall und Bewegung des Betrachters vor der Arbeit – hell, silbrig, weiß auf und lässt damit die Schrift fast unleserlich, in der Körnung des Sandes gar porös werden. Dann kippen die Wahrnehmung, das Licht und die Position, und das Gegenteil hier zu geschieht. Dieselbe Arbeit verdunkelt sich zu einer schwarzen Tafel, die den titelgebenden Text REFLECT ME THE LIGHT als Aufforderung der Interaktion an den Betrachter als Statement zurückwirft. Reflektiere mir das Licht, so lautet der deutsche Ausgangssatz der Arbeit, der unter anderem durch verschiedene Übersetzungsprogramme im Computer geschickt wurde und immer neue sprachliche Konstellationen hervorgebracht hat. So mischen sich korrekte Vorschläge der Übersetzerin Jacqueline Todd (artspeak) mit jenen, die sich zwar als grammatikalisch falsch herausstellen, aber dennoch ein großes lyrisches Potential in sich tragen. Reflektiere mir das Licht – Reflect the light back to me (artspeak) – Reflect me the light (babelfish) – Reflect to me the light (translator) – und in der Rückübersetzung aus babelfish: Reflektieren Sie mich das Licht (babelfish). Alle Übersetzungen zeigen Verschiebungen, Verwandlungen und Transformationen des Ausgangssatzes, die schon in ihrer materiellen Formulierung als Sprachbild durch die Licht und Bewegungsabhängigkeit ihrer Rezeption keine Beständigkeit aufweisen. Mal mehr oder weniger entzifferbar, erscheint REFLECT ME THE LIGHT vor einem leuchtenden, hellen oder vor einen schwarzen Hintergrund. Für einen kurzen Moment ist der Bedeutungsausschnitt stabil, indem das Werk erahnt, erfasst wird und kaum, dass dies geschah, entzieht es sich bereits wieder, weil es seine Erscheinung ändert und damit seine Dechiffrierbarkeit grundlegend problematisiert. An diesem Punkt der Auseinandersetzung des Entstehens von Bedeutung, am Übergang von unstrukturierter Materie zu einer artikulierten Form tobt sich REFLECT ME THE LIGHT gehörig aus und spielt zudem auch noch auf die Metapher des Lichtes – im übertragenen Sinne als Bild des kognitiven Erhellens – an. Eine bekannte, nicht unumstrittene linguistische Hypothese, die Sapir-Whorf-Hypothese, besagt, dass Sprache das Denken formt und nicht, dass die Objekte in einem der Erkenntnis nachträglichen Akt benannt werden. Wenn nun der Akt des Benennens, wenn die grammatikalischen und lexikalischen Strukturen die Welterfahrung aber erst schaffen, sie in ihrer jeweiligen sprachlichen beziehungsweise zeichenhaften Besonderheit determinieren, dann wird auch die Übersetzung zu einem schöpferischen Akt, der sich nicht zu einem 1:1 Verhältnis der Wörter oder im „Blau ist gleich Blau“ erschöpft, wie es die Arbeit o. T. zeigt. Unterschiedliche Lichtwechsler – einer von einem Hersteller aus der Schweiz, einer aus deutscher Fabrikation – erzeugen jeweils Blautöne sowie Rottöne, die eben nicht identisch sind. Jede Facette der Sprache oder des Lichtes gewinnt so bedeutungstragende Dimensionen – genauso wie die Bewegung des Betrachters vor der Arbeit, die Positionierung und Lichtsituation als semantische Strukturen des Werkes in ihrer Veränderlichkeit mitbedacht werden müssen.
„Mein Aug’ Bewacht“ – eine Videoskulptur mit Schellacklampe – spielt mit dem Problem der Übersetzung nicht auf sprachlicher, sondern auf materieller, skulpturaler Ebene. Die Platte, welche die Musik und die Sprache enthält, wird zu einer Lampe transformiert, die Licht spendet für die Installation des Videos, welches das Abspielen der Platte, das heißt ihre ursprüngliche Verwendung auf einem Monitor zeigt, was für den Betrachter wiederum nicht direkt einsehbar ist, sondern erst durch die Spiegelung in einem runden, dem Monitor gegenüberstehenden Spiegel lesbar wird. In dieser Arbeit scheinen viele der zentralen Themen des Künstlers subsumiert zu sein. Wobei Erkenntnis nicht direkt gelingt, sondern nur als beständiger Prozess der Verschiebung und Verwandlung. Dieser Prozess schreibt sich als Spur in die Objekte der Erkenntnis, sprich in die Arbeiten ein und spielt damit auf Zeitlichkeit, auf Vergänglichkeit, Segmentierung, Bewahren und Aneignen an. Es handelt sich daher um eine Zeitlichkeit, die kein unbewegliches Verharren, keine rigide Dauer bedeutet, sondern den Dingen die Möglichkeit des Übergangs, der Transformation eingesteht und sie damit in ihrem Changieren und ihrer Wandelbarkeit als wesentliche Form ihres Daseins zeigt. Im gesamten Prozess des Verstehens sind für den Künstler in einer gewissen Weise Auge und Ohr gleichbedeutend, auch wenn sich die meisten seiner Arbeiten mit der Metaphorik des Lichtes und damit des Auges verbinden. Viele Werke inkludieren aber auch das Geräusch beziehungsweise den Klang, unabhängig davon, ob er de facto als auditives Element im Werk enthalten ist oder „nur“ als ein Zeichen, als eine virtuelle Realisierungsform auftaucht. Virtuell meint als Sprache, als Text, als Lyrik in den Schriftbildern, wobei dort die Möglichkeit besteht, den Text laut zu lesen. Als Zeichen bedeutet in Form von Platten, Plattenhüllen oder Umrissen von Plattenhüllen, wie auf den Styroporbildern zu sehen, die den imaginären Klang suggerieren.
Die Styroporbilder oder vielmehr die Bildobjekte aus Styropor, in denen die Malerei selbst zum Bildträger geworden ist, zeigen neben konkreten Verweisen auf den Klang, die Musik auch Elemente, die nach musikalischen Strukturen entstanden sind und führen somit die Verbindung von Auge und Ohr auf einer weiteren Ebene fort. Kreisstrukturen, Verletzungen, Schichtungen, Übermalungen und Applikationen eröffnen ein künstlerisches Feld, indem die Malerei mit unterschiedlichen Materialien vorangetrieben wird. Abstraktion und Figuration, sprachliche Zitate und Notationen bilden hierbei aber keine Gegensätze mehr, sondern ergänzen sich in ihrem Bestreben das Bild zu schichten und in diesen Ablagerungen fast archäologisch Spuren des gelebten Lebens zu verorten. Dennoch argumentieren sie malerisch: Farbe, Schichtungen, unmittelbare Eingänglichkeit, Spannung, Komposition und das Prozessuale werden als sinnstiftende Bildelemente begriffen und eingesetzt. Mit anderen Worten: Was geschieht beim Zeilensprung der Sprache, wo die einfache Lesbarkeit aussetzt? Was bleibt, was ist noch erkennbar? Wird dort dann das Verhältnis von Malerei und Sprache ausdiskutiert? Inwieweit ist der noch lesbare semantische Satz zugleich auch in seiner ästhetischen Materialisierung interessant und bildbestimmend, inwieweit malt er mit anderen Mitteln? Gegen den Strich gemalt also, um etwas zu verdeutlichen, um – im übertragenen Sinne – eine Verletzung (der Norm, der Regel, des Codes) nicht zu schließen, sondern die Wunde offen zu halten und somit den Blick ins Innere auf die Struktur zu lenken. In diesem Sinne scheinen die Arbeiten von Roland Schappert ein scharfes Instrument des Denkens in Bildern zu sein.
Reflect me the light, Künstlerbuch, Hardcover, 96 Seiten mit 113 Abb. und Texten von Stefanie Kreuzer, Annette Tietenberg, Thomas Wulffen und Arne Zerbst, deutsch/engl., Salon Verlag, Köln 2009. ISBN 978-3-89770-318-6