Die Politik der
Ästhetik der Politik
Bemerkungen zum Werk von Roland Schappert
Thomas Wulffen, 2009
„Die Berliner Zeitung meldet heute (20.8.2008) auf ihrer letzen Seite, dass Amy Winehouse erneut in eine Entzugsklinik eingezogen ist. Die Klinik läge in der Nähe zum Gefängnis, in dem ihr Ehemann noch bis Ende des Jahres seine Strafe absitzen wird. Mit diesem Zusatz aber ist eine direkte Verbindung zwischen Politik und Ästhetik erreicht.“
Diese Sätze findet der Leser in der Ausgabe letzter Hand nicht mehr. Sie lassen sich allerdings nachweisen in einem Notizheft, das unterschiedliche Bemerkungen und Eintragungen enthält. Das schwarze Wachstuchheft schweizerischer Produktion im Format 10 x 14,7 cm bildet eine Art Reservoir für das gesamte Romanprojekt, in dessen Mittelpunkt das spätmoderne Verhältnis von Politik und Ästhetik steht. Dabei nimmt der Roman direkten Bezug auf den Begriff des „ästhetischen Regimes der Kunst“, wie er von Jacques Rancière in seinen Schriften geprägt wurde. Hier eine Bestimmung, die auch im Roman erscheint: „Ich nenne ästhetisches Regime ein Regime, welches keine Form der Entsprechung mehr, das heißt keine Hierarchie dieser Art voraussetzt. Dieses Regime qualifiziert die Dinge der Kunst nicht nach den Regeln ihrer Produktion, sondern nach ihrer Zugehörigkeit zu einem besonderen Sensorium und zu einem spezifischen Erfahrungsmodus.“1
Der Roman „Die Täuschung der Welt“ widmet sich diesem Erfahrungsmodus in einer besonderen Weise. Neben dem eigentlichen Text finden sich immer wieder Bilder und Bilder von Bildern. Text und Bild exemplifizieren eine weitere Aussage von Jacques Rancière, die sich direkt anschließt an das vorherige Zitat: „Das soll nicht bedeuten, dass man hier in der Welt des reinen Verstandes oder Geistes wäre, ohne Bezug zu den sozialen Realitäten. Das soll heißen, dass die Produkte der Künste nicht länger über die Höhe der Stellung der Sujets, die sie behandeln, qualifiziert werden, oder über Bestimmungen, die sie erfüllen oder über soziale Kräfte, denen sie dienen.“2
An dieser Stelle kann verwiesen werden auf den Arbeitszyklus „Alleinunterhalter“ von Roland Schappert, der im Jahre 2005 erstmals in einer Ausstellung inszeniert wurde. Der Pressetext zum Projekt lautet: „In seinem neuen Projekt ‚Alleinunterhalter’ nimmt Roland Schappert die komplexe Identitätskonstruktion derjenigen in den Blick, die ihr Geld mit musikalischer Unterhaltung verdienen, ohne dass sich ihr Name mit einem ‚Hit’ verbinden ließe. Weil sie niemals einen geschrieben haben.
Ohne Unterstützung von weiteren Bandkollegen obliegt dem Alleinunterhalter ganz allein das Gelingen eines Festes: Sein Profi-Keyboard sorgt dafür, dass der Sound beinahe so klingt wie bei Frank Sinatra, während er selbst sich ‚live und zum Anfassen’ an ‚New York, New York’ versucht. Mithilfe musikalischer Zitate und auratischer Anleihen bei echten Stars wird eine Atmosphäre produziert, die der Erfahrung des Originals identisch sein soll; im besten Fall funktioniert der Alleinunterhalter-Song so als Zeichen für das ‚Echte’, das wir woanders erlebt haben. Weil aber auch das Zeichen die Reaktionen des Echten auszulösen vermag, wird es gleichzeitig zu seinem Synonym.
Schapperts Interesse gilt immer wieder den hybriden Konstruktionen, die sich im diskursiven Gewebe von Präsentation und Repräsentation, Realität und Projektion, echt und fake nicht gänzlich verfangen. Die letztlich unbestimmbare Identität des Alleinunterhalters befragt der Künstler durch verschiedene Medien hindurch: Ausgangsmaterial sind dabei fotografische Selbstdarstellungen ‚echter’ Alleinunterhalter im Internet, von denen Schappert ein Detail als pars pro toto nimmt und in seine eigene fotografische Sprache der aufgelösten Oberflächen mit malerischer Leuchtkraft übersetzt. Neben den Fotografien führt sein Ausgangsmaterial den Künstler auch zu gezeichneten Porträts, die die unterschiedlichen Persönlichkeiten der Alleinunterhalter vom Kontext ihrer Tätigkeit befreien und ihnen so die Qualität eines Gegenübers zurückgeben. Die reale Wirkung von Unterhaltungsmusik und Schapperts unmittelbar sinnliches sowie reflexives Verfahren erfährt der Betrachter schließlich an einer musikalischen Skulptur und einem Fotovideo. Indem der Künstler hier unbearbeitet arrangiertes Material zeigt, binden diese Arbeiten das Thema der Ausstellung exemplarisch zurück an den gesellschaftlichen Zusammenhang.“3
Das Zitat an dieser Stelle nimmt eine doppelte Funktion ein. Zum einen lässt es das komplexe Bild- und Abbildverhältnis im Werk von Roland Schappert deutlich werden. Zum anderen verweist es auf die transformierende, multimediale Konstruktion von Schapperts Projekten. Dabei sind die Porträts jedoch im eigentlichen Sinne „altertümliche“ Bildnisse, die aber gleichzeitig auf gesellschaftliche Funktionen verweisen.
Bei den neuesten Arbeiten des Künstlers seit dem Jahre 2006 sind die Abgebildeten zumeist Ikonen der Populärkultur. In der Abbildung durch die Hand des Künstlers gewinnen sie eine fast persönliche Identität, die deren ikonischen Charakter in den Hintergrund stellt. In der Ausstellung „Black“ hat Roland Schappert die Ikonen James Brown, Johnny Cash und Amy Winehouse in spezifischer Weise ins Bild gesetzt.4 Grundlage bleibt das jeweilige konkrete Porträt, umfangen von einem spezifischen Schwarz, das an jenes erinnert, welches die Altvorderen noch von Schellack-Platten kennen. Gleichzeitig aber wird in den Zitaten „I’m Black & I’m Proud“, „Man In Black“, „And I go back to black“ die Farbe Schwarz zu einem Träger von emanzipatorischem Bewusstsein. Tatsächlich steht hinter der Porträtreihe auch die Frage nach dem politischen Gehalt zeitgenössischer Kunst; aber nicht in einem dogmatischen oder sozialkritischen Sinne, sondern mit einer Offenheit, die das Dunkle und Unbestimmte einer vorbestimmten Ausleuchtung bzw. Fokussierung vorzieht. In den Worten des Künstlers: „Die bildende Kunst schwankt zwischen coolem Design, Abstraktem Expressionismus, Arte Povera und dem einfachen ästhetischen Schatten umbra aesthetica. Die ästhetische Dunkelheit defectus lucis scheint dagegen noch immer bloß negative Natur zu besitzen.“5
Amy Winehouse und vergleichbare Gestalten sind Ikonen einer Massenkultur. Damit und darin werden auch Grenzen nieder gerissen. In den Worten von Jacques Rancière: „Das, was der Kunst ‚eigen’ ist, ist eine Sphäre einer spezifischen Erfahrung, und leitet sich nicht aus Gesetzen oder den Eigenschaften ihrer Objekte her. Auf der einen Seite gibt es keine edlen und minderwertigen Sujets, keine vornehmen oder vulgären Genres mehr. Alles Beliebige kann Teil haben an der Gleichheit im Königreich der Kunst.“6 An anderer Stelle verweist Rancière wieder auf das „ästhetische Regime“: „Das ästhetische Regime der Künste löst diese Verknüpfung von Gegenstand und Darstellungsweise auf.“7 Erscheinen dem Betrachter deshalb die Porträtzeichnungen so altertümlich, weil sie jene verlorene Verknüpfung wieder evozieren? Um nebenan erneut aufgebrochen zu werden, in den Bildgenerierungen auf dem Fernsehschirm. „Zum einen kommt die technische nach der ästhetischen Revolution; zum anderen ist diese vor allem durch den Ruhm des Beliebigen charakterisiert, der zunächst ins Gebiet der Malerei und Literatur fällt, bevor er Fotografie und Film erfasst.“8
Darüber hinaus wird hier exemplarisch ein Themenkreis verdeutlicht, den Roland Schappert umgreift, vom Alleinunterhalter zur Ikone, auferstanden oder wieder gefallen. Dabei überschreitet er die medialen Grenzen, die er scheinbar gar nicht mehr wahrnimmt. In dem Buch „POETRY KOOPERATIONEN“9 aus dem Jahr 2003 findet sich in den eigenen Aufzeichnungen des Künstlers der Satz: „Vor Streit schützt ständiger Themenwechsel.“ Das Buch selbst thematisiert den Themenwechsel ebenso wie die Überschreitung der Medien. Es ließe sich auch von einem Sampling-Verfahren sprechen, das seine Anwendung nicht allein auf ein musikalisches Material 10 findet, sondern auch auf Bild- und Sprachmaterial. Dabei ist aber immer ein Moment der Wiedererkennung enthalten. Der Begriff der Ikonizität beruht ja selbst auf einer Art Wiedererkennung. Die Nähe von Ikone zum Ikon ist ein untergründiges Thema in den Arbeiten von Roland Schappert. Insofern ergibt sich eine Nähe zur Literatur, die für einen bildenden Künstler außergewöhnlich ist. In einem spezifischen Sinne sind die Werke von Roland Schappert „Reportagen“ in einem anderen Medium als dem der Reportage. Dieses Moment schafft für den Betrachter eine Zugänglichkeit, die wirksam ist, auch wenn die Diskokugel nicht an der Decke hängt, sondern auf dem Boden steht und die Schallplatte nur im Fernseher als Video zu laufen scheint.
An diesem spezifischen Sinn der Reportage lässt sich eine aufschlussreiche Bemerkung von Jacques Rancière anschließen, die sich auf das Auftauchen der Masse in der Kunst bezieht: „Vor allem gründet es auf der ästhetischen Logik einer Sichtbarkeitsweise, die sowohl die Größenmaßstäbe der Tradition der Repräsentation widerruft als auch ein auf der öffentlichen Rede beruhendes Modell von Sprache durch das Lesen der Zeichen auf dem Körper der Dinge, Menschen und Gesellschaften ersetzt.“11 Sind die Werke und Darstellungen als komplexe Ausstellungsinterieurs von Roland Schappert auch als spezifische Lesart in diesem Sinne zu verstehen?
Tatsächlich ist der Roman „Die Täuschung der Welt“ selbst eine Täuschung, weil er Bild und Abbild zugleich ist; so wie der Alleinunterhalter sich dem Worte nach mit sich selbst unterhält. Das Werk von Roland Schappert situiert sich auf der schmalen Linie zwischen Bild und Abbild. Was Fiktion und Fakt ist, wird auf einer anderen Ebene entschieden. Amy Winehouse lebt.
1 Jacques Rancière: Ist Kunst widerständig?, Berlin 2008, S. 40 – 41.
2 a. a. O., S. 41.
3 Dagrun Hintze, artfinder Galerie, Hamburg 2005.
4 „Black“, kjubh Kunstverein e. V., Köln 2008.
5 Statement von Roland Schappert in der Presseerklärung zu „Black“, März 2008.
6 Jacques Rancière: Ist Kunst widerständig?, a. a. O., S. 41 – 42.
7 Jacques Rancière: Die Aufteilung des Sinnlichen. Die Politik der Kunst und ihre Paradoxien., Berlin 2006, S. 52.
8 a.a.O., S. 53.
9 Roland Schappert: POETRY KOOPERATIONEN. MIT GÄSTEN, Köln 2003.
10 Siehe dazu auch den Text von Joachim Ody: Rhythmik und Melodik (Sound Poetry) in POETRY KOOPERATIONEN, a.a.O.
11 Jacques Rancière: Die Aufteilung des Sinnlichen., a. a. O., S. 54.
Reflect me the light, Künstlerbuch, Hardcover, 96 Seiten mit 113 Abb. und Texten von Stefanie Kreuzer, Annette Tietenberg, Thomas Wulffen und Arne Zerbst, deutsch/engl., Salon Verlag, Köln 2009. ISBN 978-3-89770-318-6